Leseprobe aus
DIE DEUTSCHE ISLAMKONFERENZ

Wenn schon ein Dialogprozess mit Muslimen in Deutschland vor dem Hintergrund einer mangelhaften Integration schwierig gewesen wäre – mit der „öffentlichen Hysterie[1] und dem permanenten Bedrohungsszenario islamistischer Terroranhänger im Hintergrund, auf die er als Innenminister schließlich auch politisch zu reagieren hat – ist Schäuble insbesondere im Jahr 2007 gezwungen, inhaltlich an zwei Fronten zu kämpfen: Einerseits will er den Muslimen die Hand reichen und die „Welle der Ausgrenzung“[2] beenden; andererseits muss er eventuelle Lücken in der Sicherheitsarchitektur schließen und einen scharfen Blick auf mögliche neue Bedrohungen haben. Wahrgenommen wird im öffentlichen Diskurs die medial vorgegebene Verknüpfung des Islams mit terroristischen Bedrohungsszenarien. Da hilft es wenig, wenn Schäuble – wenige Tage nach dem 2. Plenum der Islamkonferenz in Berlin – am 4. Mai 2007 an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern im Rahmen der Otto-Karrer-Vorlesung die Entwicklungen im Islam verteidigt und die kulturelle Bereicherung Europas durch den Islam betont.[3] Es habe Jahrhunderte gebraucht, das Verhältnis von Staat und christlichen Religionen in Europa friedlich zu regeln, deswegen sei es auch nicht zu erwarten, die aktuellen Probleme zwischen Staat und Islam in Europa im 21. Jahrhundert gewissermaßen über Nacht und ohne Kontroversen zu regeln, sagt Schäuble in Luzern mit Blick auf den in Zeitungskommentaren erhobenen Vorwurf, es habe beim 2. Plenum der Islamkonferenz kein abschließendes Ergebnis gegeben.

Ergebnisse des 2. Plenums

Tatsächlich ist es so, dass die Ergebnisse, die die Arbeitsgruppen dem Plenum am 2. Mai 2007 zur Diskussion anbieten – um es positiv auszudrücken – eher nach vorne gerichtet waren. Vorgelegt wird ein Zwischen-Resümee, das auch Schlussfolgerungen der Arbeitsgruppe 1 „Deutsche Gesellschaftsordnung und Wertekonsens“ enthält, von deren wesentlichen Teilen der Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland wenige Tage vor der Islamkonferenz, am 28. April 2007, seine Zustimmung zurückzog. Der Streit war an Punkt 2 der fünf Thesen entbrannt, die als gemeinsam verabschiedeter Zwischenstand der Beratungen der Arbeitsgruppe 1 dem Plenum präsentiert werden sollten und mit dem Hinweis der Nichtzustimmung auch vorgelegt wurden:

„Integration verlangt einerseits von den in Deutschland lebenden Muslimen die aktive Bereitschaft zu Erwerb und Gebrauch der deutschen Sprache sowie zur vollständigen Beachtung der deutschen Rechts- und Werteordnung. Andererseits ist die Mehrheitsgesellschaft gefordert, in Deutschland lebende Muslime als gleichberechtigten Teil der deutschen Gesellschaft anzuerkennen und zu respektieren.“[4]

Der Ressortleiter Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, legte am folgenden Tag kommentierend den Finger in die Wunde und schrieb, die einzig verbindliche deutsche „Werteordnung“ sei die deutsche Rechtsordnung.[5] Eine deutsche Werteordnung, zu der Wolfgang Schäuble von den Muslimen ein Bekenntnis verlange, gäbe es nicht. Wer die Rechtsordnung mit einer „Werteordnung“ umkränzen und ergänzen wolle, schade deren Geltungsanspruch. „Apokryphe Werte“ seien ein „Weichmacher für das Recht und seine Überzeugungskraft“, schreibt Prantl.[6]

Schlimmer als dieser Dissens, der hätte vermieden werden können, wenn sich einer der verantwortlichen Fachbeamten die Frage gestellt hätte, die Prantl in seinem Kommentar stellte, was der Bundesinnenminister denn meine, wenn er den Muslimen in Deutschland als Eintrittsbillet die vollständige Beachtung der deutschen Werteordnung abverlange, war jedoch das Erscheinen eines ungebetenen Gastes zum 2. Plenum in Berlin, das diesmal in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin tagte: Als Zuhörer nahm Ibrahim el Zayat teil, Chef der Islamischen Gemeinschaft, die vom Verfassungsschutz als der deutsche Zweig der ägyptischen Muslimbrüderschaft geführt wird.[7] El-Zayat erschien als Begleiter des Plenumsmitgliedes Axel Ayyub Köhler, dem damaligen Sprecher des Koordinierungsrates der Muslime. Die gemeinsame Geschäftsordnung der Islamkonferenz sah zu diesem Zeitpunkt vor, dass jedes Plenumsmitglied (unangemeldet) einen Begleiter mitbringen dürfe, der am Rande sitzen und zuhören könne. So auch El-Zayat, der von den meisten Plenumsmitgliedern unerkannt blieb, bis anwesende Journalisten darauf hinwiesen. Auch der Abteilungsleiter Grundsatz im Bundesinnenministerium, Markus Kerber, hatte den deutschen Islamisten erkannt und den Innenminister vor Beginn des Plenums auf die brisante Begleitung Köhlers hingewiesen. Schäuble hörte sich die Fakten zur Lage an und entschied, als Hausherr nicht unfreundlich zu sein und den Affront zu übergehen. Nicht übergangen hatten allerdings die Medien die – wenn nicht wohlmeinende, aber so doch sicher zu großzügige – Geste Schäubles und werteten sie unisono als politisches Desaster. Regina Mönch schrieb in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wenn die Islamkonferenz nicht auf das Niveau einer unverfänglichen Sonntagstalkrunde sinken solle, wäre es höchste Zeit, klare Fragen zu stellen und deutliche Grenzen zu ziehen „zu Ibrahim el-Zayat und seinen Hintermännern“.[8]

Dass Schäuble in Bezug auf das Begriffsduo „deutsche Rechts- und Wertordnung“ womöglich missverstanden wurde, macht ein Ausschnitt aus seiner Eröffnungsrede vor dem 2. Plenum deutlich, in dem er ausführlich, darauf eingeht, was er von den Muslimen in Deutschland erwartet: „An der vollständigen und gelebten Anerkennung der deutschen Rechts- und Werteordnung, wie sie im Grundgesetz in so toleranter wie verbindlicher Form zum Ausdruck kommt, führt kein Weg vorbei, wenn man hier auf Dauer leben und eine gute Zukunft für seine Kinder will.“[9] Und ein weiteres Mal präzisierend: „Gemeinsamkeiten finden wir nur auf der Grundlage der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie sie das Grundgesetz definiert und vor Veränderungen schützt. Jeder ist eingeladen, an der Ausgestaltung dieser Ordnung mitzuwirken. Mitsprache und Teilhabe setzen jedoch zwingend die gelebte Akzeptanz unserer Ordnung und damit verbindliche Umgangsformen in unserem Land voraus.“[10] Schäuble bezieht den Begriff „Werteordnung“ hier eindeutig auf die im Grundgesetz definierten „Werte“. Gleichzeitig ist diese Rededramaturgie typisch für Schäubles Bemühen, einerseits den Muslimen das Angebot zum Mitgestalten zu machen und andererseits die Dialogskeptiker zu beruhigen, indem er die Grundlagen der Mitgestaltung definiert.

Um den Erfolgsdruck aus den Gesprächen zu nehmen, betont Schäuble bei diesem Anlass erneut den Prozesscharakter des Dialogs: Schon allein das gemeinsame Gespräch hält Schäuble für einen bedeutenden Fortschritt für das Verhältnis zwischen deutschem Staat und den Muslimen in Deutschland. Es spreche eher für die gemeinsame Arbeit als dagegen, dass es mindestens so viele offene Fragen gebe, wie gemeinsame Schlussfolgerungen vorlägen, sagt er.[11]

So beauftragt das Plenum der Islamkonferenz in seiner 2. Sitzung am 2. Mai 2007 aufgrund seiner Beratungen:

- die AG 1 mit der Erhebung und Auswertung empirischer Daten zum muslimischen Leben in Deutschland

- die AG 2 mit der Erarbeitung einer „Positivliste“, um die verfassungsrechtlich maßgeblichen Voraussetzungen für die Einführung von Religionsunterricht zu konkretisieren

- die Arbeitsgruppe 3, Wege aufzuzeigen, wie deutlich mehr qualifizierte Mitarbeitern mit Migrationshintergrund in den Fernseh- und Rundfunkredaktionen sowie bei den Zeitungen einzustellen wären.

- den Gesprächskreis Sicherheit mit der Prüfung der Einrichtung einer „Clearingstelle“ für Kooperationen zwischen Sicherheitsbehörden und muslimischen Organisationen/Personen. [12]

Der integrationspolitische Redakteur der Süddeutschen Zeitung, Roland Preuß, sieht sich aufgrund dieser Vorlagen zu einem Kommentar mit dem Titel „Schädliches Geschwafel[13] in der Süddeutschen Zeitung veranlasst, da völlig unklar bleibt, an wen sich diese Appelle richten und wie ihre Inhalte weiterverfolgt werden sollen.

Forderung nach islamischen theologischen Fakultäten

Schäuble äußert sich öffentlich nicht zu der in den Medien formulierten Kritik, sondern macht in einer Rede, die er, wenige Tage nach dem 2. Plenum der Islamkonferenz, am 9. Mai in der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin anlässlich der Eröffnung eines neuen Gebäudes hält, deutlich, dass die Niederungen der Ebene das eine sind, der große Wurf aber das andere und setzt sich für islamische Fakultäten an deutschen Universitäten ein.[14] Sähe man die Dinge in historischen Dimensionen, dann würden die Schwierigkeiten mit der Islamkonferenz zwar nicht irrelevant, sie ordneten sich jedoch als eher etwas Normales ein, erläutert er den Zuhörern. Er sei zuversichtlich, dass der Staat auf mittlere Sicht in der Lage sein werde, die Zukunftstauglichkeit des Staatskirchenrechts dadurch unter Beweis zu stellen, dass es die Integration des Islams ermögliche. Ob es zu islamischen Fakultäten kommen werde, hänge von vielen Faktoren ab und auch davon, ob die deutschen Muslime dies selbst wollten und die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür erfüllten, erläutert Schäuble weiter. Es handele sich bei einer solchen Einrichtung also zwar nicht um etwas unmittelbar Bevorstehendes, dennoch spreche aus seiner Sicht sehr viel dafür, „dass es an deutschen Universitäten islamische theologische Fakultäten in Zukunft geben wird.“ Der Staat habe ein Interesse daran, dass gesellschaftlich relevante Religionsgemeinschaften für sich selbst eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Theologie entwickeln, die dann wiederum die Grundlage für die Ausbildung von Religionslehrern und von Geistlichen bildet. Forschung und Lehre an einer islamisch-theologischen Fakultät in Deutschland müsse sich dann an den Maßstäben universitärer Wissenschaft messen lassen und könne dadurch einen Beitrag zur Integration des Islams in die moderne deutsche Gesellschaft leisten.[15]

Im Auditorium dieser Eröffnung sitzt auch die für Schul- und Bildungspolitik zuständige Redakteurin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Heike Schmoll, die den Satz, das deutsche Staatskirchenrecht werde seine Zukunftstauglichkeit dadurch erweisen, dass es eine Integration des Islams ermögliche – zumindest was den zeitlichen Horizont angeht – missversteht. Ihr Dreispalter am 11. Mai auf der ersten Seite des politischen Buches der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der die Rede Schäubles nachrichtlich wiedergibt, trägt die Überschrift „Schäuble erwartet Körperschaftsstatus für Islam“, als wäre dies kurzfristig möglich.[16] Einige Tage später rückt Schmoll diesen Eindruck insoweit wieder zurecht, als dass sie den Weg, den Religionsgemeinschaften auf dem Weg zu einer Körperschaft öffentlichen Rechts in so weit skizziert, als dass deutlich wird, dass es zum einen den Muslimen in Deutschland gelingen müsse, so etwas wie eine „innere Ordnung“ herzustellen; zum anderen müssten die Muslime dafür sorgen, dass die Bestimmungen des Grundgesetzes eingehalten werden.[17] Zudem fordere das deutsche Recht eine Stelle, die dem Staat über islamische Grundsätze verbindlich für alle Muslime Auskunft geben könne, schreibt Schmoll.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Festlegung der Muslime auf die deutsche Rechts- und Werteordnung im Rahmen von Erklärungen in den Plena der Islamkonferenz vielfach vor allem in der linksliberalen Presse so kommentiert wurde, als sei dies nicht so nötig und eine Spielart konservativer Ministerialbeamter. Tatsächlich sollte den Muslimen aber der Weg zur Teilhabe geebnet werden. So schreibt auch Schmoll: „Der entscheidende Schritt zur Körperschaft liegt deshalb in der Integrations-, möglicherweise sogar Anpassungsbereitschaft der Muslime. (…) Es liegt auf der Hand, dass dies jahrelang dauern wird, zumal ihnen eine anerkannte wissenschaftliche Theologie fehlt.“

Elitepresse zwischen Stereotypen und Differenzierung

Am 14. Juni 2007 legt Patrick Bahners im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine schonungslose Analyse der Ergebnisse des 2. Plenums vor und schreibt: „Der wesentliche Sinn der Konsensdokumente der Islamkonferenz ist ein symbolischer. Es ist ausdrücklicher Wunsch des Einladers Schäuble, dass über Selbstverständlichkeiten debattiert wird. So wird dann auch Selbstverständliches nach den Regeln der diplomatischen Kunst als Verhandlungsmasse behandelt.“[18] Bahners rekurriert bei seiner Argumentation auf die Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2006 am 15. Mai 2007 – dreizehn Tage nach dem 2. Plenum der Islamkonferenz. Dort hatte Schäuble einen eindeutigen Schwerpunkt gesetzt und gesagt: „Die größte Bedrohung für die Stabilität und die Sicherheit in Deutschland geht weiterhin vom islamistischen Terrorismus aus.“[19] Da ist es Bahners nicht zu verdenken, dass er die Islamkonferenz als „ein Instrument der sanften Prävention“ bezeichnet, „das dem Rechtsstaat helfen soll, den Krieg in den Köpfen zu gewinnen“ und fragt, was denn die Islamkonferenz zur größten Bedrohung der inneren Sicherheit des Landes bisher hat verlautbaren lassen. Nach Auffassung Bahners ist die Antwort „nichts“ – es gäbe kein Wort der Islamkonferenz zum islamistischen Terrorismus.[20] Bahners lässt den Verbandsvertreter Aiman Mazyek, Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, zu Wort kommen und interpretiert seine Aussagen dahingehend, dass es für den Zentralrat undenkbar wäre, dass ein deutscher Muslim zum Terroristen würde. Auch Axel Ayyub Köhler, der Vorsitzende des Zentralrats wird mit der Aussage zitiert, dass „von den muslimischen Gemeinden in Deutschland bisher keine Gefahr ausgegangen ist“.

Generell suggerieren zahlreiche Beiträge vor allem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sowie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, dass es eine potentielle Bedrohung der modernen, westlichen Gesellschaft durch den Islam gäbe. In ihrem Ton sind sie eher islamkritisch. So vermutet beispielsweise der Islam-Experte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Wolfgang Günter Lerch, eine Wiederkehr der Religionskriege. Beim Islam handele es sich um eine wehrhafte Religion, die getreu den Worten des Korans agiere. In seinem Kommentar „Der Bewaffnete Prophet“ stellt Lerch heraus, dass sich der Islam als die Vollendung der monotheistischen Religionen sehe und im eigenen Selbstverständnis allen anderen Religionen überlegen sei. Eine Bestrebung für eine reformistische Entwicklung des Islams sieht Lerch nicht.[21]

Dass es immer mehr Übertritte von Deutschen zum Islam gäbe und diese deutschen Muslime oftmals besonders fanatisch seien, beschreibt Christoph Ehrhardt.[22] Die Gefahr eines so genannten Homegrown-Terrorismus sei real, denn unter den Konvertiten gäbe es Leute, die glaubten, sie müssten sich besonders beweisen. „In den Sicherheitsbehörden kursiert das Bild vom übereifrigen deutschen Muslim“, schreibt Ehrhardt, „dessen Kadavergehorsam in religiösen Fanatismus überschlage“. Wie sich herausstellen sollte, lag Ehrhardt in seiner frühen Analyse nicht falsch: Anfang September 2007 wird ein geplanter Terroranschlag in Deutschland durch die Verhaftung einer terroristischen Zelle verhindert. Ihr gehören zwei junge deutsche Konvertiten an. Gut eineinhalb Monate vor den Festnahmen im Sauerland warnt Markus Wehner in „Sie sind zurückgekommen, um zu töten“ vor deutschen Konvertiten, die in pakistanischen Trainingslagern von Al-Qaida als islamistische Kämpfer ausgebildet werden und danach in die Bundesrepublik zurückkehrten.[23] Mit dieser neuen Dimension des Terrors setzt sich auch Christiane Hoffmann in ihrem Kommentar „Deutsche Terroristen“ auseinander. Hoffmann, die viele Jahre im Iran als Korrespondentin der F.A.Z. gelebt hat, fragt, wie man verhindern könne, dass Religionsfreiheit zur Verbreitung islamistischen Gedankengutes missbraucht werde. Es fehle bei den Muslimen eine verbindliche religiöse Autorität, die den Missbrauch der heiligen Schriften des Islams durch Terroristen offen lege.[24] Markus Wehner vergleicht in „Das neue Gesicht des Terrorismus“ den islamistischen Terror mit dem der Roten Armee Fraktion. Wehner weist auf die Gefährlichkeit und Unkontrollierbarkeit des transnational operierenden Islamismus hin und schreibt – Anschläge auf New York, Djerba, Afghanistan zusammenzählend – durch den islamistischen Terror seien bereits mehr Deutsche umgekommen seien, als durch die 28 Jahre RAF.[25] Als einen Mann, der die deutsche Gesetzgebung im Sinne eines fundamentalistischen Islams ausnutze, beschreibt Uta Rasche in ihrem Artikel „Spinne im Netz der Muslime in Deutschland“ den ungebetenen Islamkonferenzbesucher Ibrahim El-Zayat. Er sei eine zentrale Figur des Islams und wichtiger Koordinator der muslimischen Expansion, der in Deutschland Kontakt zu islamistischen Netzwerken unterhalte und deshalb vom Verfassungsschutz überwacht werde.[26]

Die Autoren der Süddeutschen Zeitung dagegen zeigen sich insgesamt optimistischer: Gustav Seibt hält eine demokratische Entwicklung der Muslime für möglich, wenn auch nicht nach westlichen Muster.[27] Die Demokratisierung der islamischen Staaten bedürfte allerdings einer nachhaltigeren Hilfe des Westens zur Schaffung der Voraussetzungen für demokratische Strukturen. Wie das Beispiel des Iraks zeige, sei das bloße Etablieren einer demokratischen Fassade, inklusive des Abhaltens von Wahlen, zwecklos. Seibt erinnert in seinem Artikel auch daran, dass etwa 1850 halb Europa davon überzeugt gewesen sei, dass Christentum und Demokratie nicht zusammenpassten: „Der Glaube, Islam und Demokratie schlössen sich aus, steht auf keinen besseren Füßen“, kommentiert er die gefühlte Geisteshaltung in den europäischen Nationen.[28] Annette Ramelsberger empfiehlt in ihrer Kommentierung Solidarität zwischen westlicher Mehrheitsgesellschaft und Muslimen in Deutschland gegen den islamistischen Terrorismus.[29] Nur durch ein gemeinsames Streben könne die Freiheit geschützt werden. Die herrschende Angst vor dem islamistischen Terror behindere jedoch den Dialog mit den Migranten und ermögliche somit einen Sieg des Terrors.

Auch mit dem Phänomen der Konvertiten beschäftigen sich die Autoren der Süddeutschen Zeitung differenzierter. So beschreibt der Islamwissenschaftler Stefan Weidner in einem Essay, dass es durchaus Gründe für einen Religionswechsel geben könne, die nicht fundamentalistisch motiviert sind.[30] Die meisten Konvertiten seien nicht „zornige junge Männer“, sondern Frauen, die Muslime geheiratet haben oder heiraten wollen.[31] Der gleiche Autor gibt wenig später zu bedenken, dass die Zahl der abtrünnigen Muslime weit höher sei, als die der Konvertiten und fordert „Zählt endlich die Apostaten“ mit Blick darauf, dass sich viele Muslime in Deutschland in stiller Abkehr von einer orthodoxen Auslegung des Glaubens in die Gesellschaft integriert hätten – und dies trotz des de facto existierenden Apostasieverbotes des Islams.[32]

Wie sehr sich die beiden deutschen meinungsführenden Zeitungen, Frankfurter Allgemeine Zeitung plus Sonntagszeitung und Süddeutsche Zeitung, in ihrer Darstellung des Islams und seiner Begleitumstände unterscheiden, wird in einem Kommentar von Annette Ramelsberger zu den Reaktionen der deutschen Politik auf die Festnahme der Sauerlandgruppe und der politischen Forderung nach einer „Konvertiten-Datei“ deutlich: „Die Angst der christlichen Gesellschaft vor dem islamistischen Terror ist so groß, dass sie zum Angstbeißen veranlasst“ und kritisiert damit die häufig reflexartig formulierten Forderungen nach neuen Sicherheitsinstrumenten, um eine eigentlich nicht greifbare von Mulsimen ausgehende Gefahr zu bannen.[33]

Zu einer ähnlichen Auffassung, nämlich, dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Terrorismusberichterstattung eher islamkritisch und sowohl Muslime als „die Anderen“ darstelle als auch negative Stereotypen wiederhole, kam – wie bereits erwähnt – auch Antje Glück in ihrer Untersuchung zur Terrorismusberichterstattung in der deutschen und arabischen Elitepresse.[34]

Anfang November 2007 schaltet sich Schäuble in den um den Bau der Kölner Moschee entbrannten Streit ein und gibt dem ZDF für die Sendung „Berlin direkt“ ein Interview.[35] Das Moscheebauprojekt Köln Ehrenfeld ist die Umsetzung des Entwurfs des Kirchenbaumeisters Paul Böhm und sieht einen Gebetsraum für 2000 Personen, einen Veranstaltungssaal für 1500 Personen, die Verwaltungszentrale der DITIB, Jugend-, Frauen- und Bildungseinrichtungen sowie Geschäfte vor. Die in Form einer stilisierten Weltkugel gehaltene Kuppel soll 34,50 Meter hoch werden und die Höhe der Minarette ist auf 55 Meter geplant. Bereits im Laufe des Jahres 2006 wurde heftig um den geplanten Bau gestritten; eine Initiative „Pro Köln“ hatte ein Volksbegehren angestrebt, das scheiterte, nachdem sich mehr als 7000 der abgegebenen 23000 Unterschriften als Fälschung herausgestellt hatten. Angefragt wurde Schäuble, nachdem sich Ralph Giordano, ein erklärter Gegner des Projekts, und Bekir Alboga, Dialogbeauftragter der DITIB und Plenumsmitglied in der Islamkonferenz, in einem Internet-Format des Kölner Stadtanzeigers über den Moscheebau stritten.[36] Schäuble verteidigt die zunehmende Zahl von Moscheebauten als Ausdruck davon, dass die in Deutschland lebenden Muslime hier ihren dauerhaften Lebensmittelpunkt sähen und verweist darauf, dass der Bau und der Betrieb einer Moschee grundsätzlich unter dem Schutz des Grundrechts der Religionsfreiheit stehen.

Das negative Islambild in den deutschen Medien kritisiert zu diesem Zeitpunkt Heiner Bielefeldt, Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, in einem Essay und fordert mit den weithin existierenden Vorbehalten und Befürchtungen gegen den Islam sorgfältig umzugehen, sie auf ihren möglichen Sachgehalt hin kritisch zu prüfen, stereotype Darstellungen und Erklärungen zu überwinden und Diffamierungen klar entgegenzutreten.[37] Es sei weder hilfreich noch angemessen, die Äußerung von Skepsis, Kritik oder auch Angst gegenüber dem Islam pauschal ins Unrecht zu setzen, schreibt Bielefeldt. Die für eine liberale, aufgeklärte Diskussionskultur entscheidende Trennlinie verlaufe deshalb nicht zwischen freundlichen und weniger freundlichen Darstellungen des Islams und seiner Angehörigen, sondern zwischen Genauigkeit und Klischee.  Nach Ansicht des Menschenrechtsexperten muss die Anerkennung der Präsenz des Islams in Deutschland auch die Akzeptanz seiner öffentlichen Sichtbarkeit beinhalten. "In einer den Menschenrechten verpflichteten freiheitlichen Gesellschaft ist Religion – entgegen einem verbreiteten Vorurteil – eben nicht nur Privatsache. Dass sich religiöse Überzeugungen und religiöses Leben auch öffentlich sichtbar darstellen können, ist vielmehr Bestandteil der verfassungsrechtlich und völkerrechtlich verbürgten Religionsfreiheit", schreibt Bielefeldt. So könne beispielsweise ein freiheitlicher Rechtsstaat keine Kleiderordnung vorschreiben. Und auch der Bau repräsentativer Moscheen finde Rückhalt in der Religionsfreiheit. Bielefeldt befürwortet zudem die Einführung des islamischen Religionsunterrichtes. Seine Einführung sei auf einer grundsätzlichen Ebene zum Testfeld dafür geworden, ob es gelingen könne, die lang eingeübten Kooperationsstrukturen zwischen Staat und christlichen Religionsgemeinschaften auf den entstandenen religiösen Pluralismus hin zu öffnen.



[1] Vgl. Schiffauer, Werner: „Die Muslime haben Angst vor den Deutschen“, Berliner Zeitung vom 7. Februar 2007, S. 3

[2] ebenda

[3] Vgl. „Staat und Islam in Europa“, Theologische Fakultät der Universität Luzern im Rahmen der Otto-Karrer-Vorlesung, 4. Mai 2007, Luzern

[4] Vgl. Bundesministerium des Innern: Deutsche Islam Konferenz (DIK): Zwischen-Resümee der Arbeitsgruppen und des Gesprächskreises vorgelegt dem 2. Plenum der Islamkonferenz am 2. Mai 2007 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin, nachzulesen unter www.bmi.bund.de

[5] Vgl. Prantl, Heribert: „Das deutsche Credo“, Süddeutsche Zeitung vom 3. Mai 2007, S. 4

[6] ebenda

[7] Vgl. Verfassungsschutzbericht 2006, S. 237 ff., nachzulesen unter www.verfassungsschutz.de

[8] Vgl. Mönch, Regina: „Trojanisches Pferd“, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. Mai 2007, S. 43

[9] „Integration durch Dialog – muslimisches Leben in der deutschen Gesellschaftsordnung“, Rede von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble bei der Eröffnung des 2. Plenums der deutschen Islamkonferenz am 2. Mai 2007 in Berlin

[10] ebenda

[11] ebenda

[12] Vgl. Bundesministerium des Innern: Deutsche Islam Konferenz (DIK): Zwischen-Resümee der Arbeitsgruppen und des Gesprächskreises, vorgelegt dem 2. Plenum der DIK am 2. Mai 2007 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin

[13] Vgl. Preuß, Roland: „Schädliches Geschwafel“, Süddeutsche Zeitung vom 2.Mai 2007, S. 4

[14] Vgl. „Sinn universitärer Theologie“, Eröffnung der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin, 9. Mai 2007, Berlin

[15] ebenda

[16] Vgl. Schmoll, Heike: „Schäuble erwartet Körperschaftsstatus für Islam“, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Mai 2007, S. 1

[17] Vgl. Schmoll, Heike: „Auf dem Weg“, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. Mai 2007, S. 12

[18] Vgl. Bahners, Patrick: „Wenn wir Moschee sagen, verstehen sie Bahnhof“, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. Juni 2007, S. 43

[19] Vgl. Presseerklärung des Bundesinnenministeriums zur Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2006 vom 15. Mai 2007, www.bmi.bund.de

[20] Vgl. Bahners, Patrick: „Wenn wir Moschee sagen, verstehen sie Bahnhof“, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. Juni 2007, S.43

[21] Vgl. Lerch, Wolfgang Günter: „Der bewaffnete Prophet“, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. Februar 2007, S. 1

[22] Vgl. Ehrhardt, Christoph: „Ick bin ein Muslim“, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. März 2007, S. 3

[23] Vgl. Wehner, Markus: „Sie sind zurückgekommen, um zu töten“, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 22. Juli 2007, S. 3

[24] Vgl. Hoffmann, Christiane: „Deutsche Terroristen“, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 9. September 2007, S. 12

[25] Vgl. Wehner, Markus: „Das neue Gesicht des Terrorismus“, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 1. April 2007, S. 4

[26] Vgl. Rasche, Uta: „Spinne im Netz der Muslime in Deutschland“, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Mai 2007, S. 3

[27] Vg. Seibt, Gustav: „Der Islam im Stimmbruch“, Süddeutsche Zeitung vom 31. Mai 2007, S. 13

[28] ebenda

[29] Vgl. Ramelsberger, Annette: „Solidarität gegen Gefahr“, Süddeutsche Zeitung vom 17. März 2007, S. 4

[30] Weidner, Stefan: „Mysterium Konversion“, Süddeutsche Zeitung vom 8. September 2007, S. 15

[31] ebenda

[32] Weidner, Stefan: „Zählt endlich die Apostaten!“, Süddeutsche Zeitung vom 19. September 2007, S. 11

[33] Vgl. Ramelsberger, Annette: „Bosbachs Stammtischgerede“, Süddeutsche Zeitung vom 13. September 2007, S. 4

[34] Vgl. Glück, Antje: Terror im Kopf, Berlin 2008, S. 134

[35] Vgl. www.zdf.de/archiv: „Integration oder Machtanspruch?“, Berlin direkt vom 4. November 2007

[36] Vgl. Kölner Stadtanzeiger unter www.ksta.de/html/artikel/1176113436263.shtml

[37] Vgl. Bielefeldt, Heiner: Das Islambild in Deutschland. Zum öffentlichen Umgang mit der Angst vor dem Islam, Berlin 2007 (Deutsches Institut für Menschenrechte, Essay Nr. 7)



Finckenstein & Salmuth Verlags-GmbH
10756 Berlin • www.Finckenstein-Salmuth.com
Verlag@Finckenstein-Salmuth.com


Preis: Broschur 14,80 Euro
ISBN 978-3-934882-60-7